Bauen und Frauen: "Der Kulturwandel auf dem Bau muss weitergehen."

Typ: Rede , Datum: 27.03.2023

Klara Geywitz über die Unterrepräsentation von Frauen auf dem Bau, männlich geplante Städte und was getan werden muss.

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

"Frauen und Bauen" ist mein Thema. Ich fange anekdotisch an und komme dann zu den harten Fakten: In meinen bisher 15 Monaten als Bauministerin habe ich die Bau- und Immobilienbranche ganz gut kennengelernt. Und da habe ich viele Frauen getroffen – von der Zimmerfrau bis zur Maklerin. Ich habe gesehen: Diese Frauen leisten auf ihrem Gebiet großartige Arbeit. Das war sehr ermutigend.

Ich habe natürlich auch erlebt, wie männlich dominiert die Baubranche immer noch ist. Vor zwei Wochen habe ich z. B. eine große Messe im Bereich Heizung und Sanitär eröffnet. Die Branche ist hoch-innovativ – was technische Fragen angeht. Bei der Eröffnung standen dann sieben wichtige Männer und genau eine Frau auf der Bühne. Ein Bild wie aus den 1960er-Jahren. Immerhin durfte ich in der Mitte stehen.

Über beides müssen wir sprechen beim Thema "Frauen und Bauen": Über Frauen, die "ihren Mann" stehen. Und über Männer, die Frauen dabei leider manchmal im Wege stehen. Vielen Dank deshalb an die Landeszentrale für die Einladung zu diesem Abend!

Und damit zu den harten Fakten. Fangen wir mal ganz oben an, in den Vorstandsetagen von einigen der der größten börsennotierten deutschen Baukonzerne – Gesamtumsatz: 30 Milliarden Euro:

  • Bauer AG: 100 % Männer im Vorstand
  • Strabag: 100 % Männer im Vorstand
  • Hochtief: 80 % Männer im Vorstand (4 Männer / 1 Frau)

An der Spitze sieht es also schlecht bis sehr schlecht mit der Gleichberechtigung aus. Aber darunter wird’s auch nicht wirklich gut: In keinem anderen Wirtschaftszweig sind so wenig Frauen beschäftigt wie am Bau – es sind 11 %.  Der Bau ist bis heute eine weitgehend frauenfreie Zone.

Das hat sicher auch historische Gründe: In Westdeutschland dürfen Frauen erst seit 1994 auf dem Bau arbeiten. Man glaubt es kaum, aber vorher war das verboten. (Zumindest auf diesem Gebiet war die DDR schon weiter.)

Bei den Architekten und Stadtplanern sieht es etwas besser aus: Bundesweit sind "nur" 63 % der Architekten und Stadtplaner männlich und immerhin 37 % weiblich – was aber immer noch unter ihrem Bevölkerungsanteil liegt.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich mehrere Probleme. Ganz fundamental: Der Gedanke der Gleichstellung ist auf dem Bau bisher nur unvollständig angekommen. Das kann uns nicht egal sein, wenn wir Gleichstellung als Wert und als Verfassungsnorm ernst nehmen.

Das ist ja kein naturgesetzlicher Zustand – sondern das hat etwas mit den Strukturen der Bauwirtschaft und den verwandten Berufsfeldern zu tun. Und letztlich mit den Strukturen unserer Gesellschaft.

Das ist ein Problem für Frauen, die als Dachdeckerin, Trockenbauerin oder Architektin arbeiten oder es gerne würden, aber angesichts der Umstände zurückschrecken.  Und es ist auch ein ganz handfestes Problem für die Branche selbst. Stichwort Fachkräftemangel. Dachdeckerinnen, Glaserinnen, Tischlerinnen und Bauingenieurinnen werden dringend gebraucht. Aber es gibt sie nicht.

Das wird auch nicht so schnell besser werden. Denn der Nachwuchs fehlt: Aktuell sind nur 2,8 % der Azubis im Bauhauptgewerbe weiblich. Bei den Studierenden des Bauingenieurswesen beträgt der Frauen-Anteil im Bundesdurchschnitt immerhin 30 % (in Brandenburg mit 27,5 % etwas weniger). Bei den Studierenden der Architektur und Immobilienwirtschaft ist der Frauen-Anteil mit 58 % bzw. 45 % dagegen recht ordentlich.

Dass Frauen im Bauwesen insgesamt unterrepräsentiert sind, hat noch eine andere Konsequenz: Frauen machen zwar mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Häuser, Städte und Gemeinden werden aber oft aus einer traditionell-männlichen Perspektive geplant. Frauen kommen in dieser Perspektive nur am Rande vor.

Die argentinische Architektin und Stadtplanerin Zaida Martinez hat dieses weltweite Phänomen so zusammengefasst: "Städte wurden überwiegend von Männern und für die Bedürfnisse von weißen Männern der Oberschicht im besten Alter und körperlicher Verfassung geplant."

Die Nachkriegs-Idee der autogerechten Stadt beispielsweise war – zumindest in Westdeutschland – am traditionellen Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie ausgerichtet: Der männliche Ernährer bewegte sich mit dem Auto zur Erwerbsarbeit. Die „Hausfrau“ leistete unbezahlte Reproduktionsarbeit und blieb – eben: zu Hause. Aber auch die ostdeutschen Städte wurden nicht als fahrrad- oder familienfreundliche Oasen konzipiert.

Die 50er-Jahre sind nun schon lange vorbei und kommen zum Glück auch nicht wieder. Aber noch heute leben Millionen Menschen in autogerechten und tendenziell Geschlechter-ungerechten Städten. Davon profitieren Männer deutlich mehr als Frauen. Noch heute sind 62 % der KfZ in Deutschland auf Männer zugelassen und nur 38 % auf Frauen.

Das Verhältnis von Frauen & Bauen ist also kein ganz unproblematisches – wobei der Bau mehr Probleme mit den Frauen zu haben scheint als umgekehrt. In aller Kürze ein paar Ideen, wie es besser werden kann:  

Frauen brauchen Förderung, Interessenvertretungen, Netzwerke und Mentorinnen.

Diese Frauen-Netzwerke gibt es im Bau-Bereich auch schon und sie werden stärker. Da gibt es die sehr rührigen "Immo-Frauen", die auch eine Regionalgruppe Berlin-Brandenburg haben und jährlich einen Förderpreis für Absolventinnen verleihen. Bei der Bundesarchitektenkammer gibt es eine Projektgruppe zum Thema Chancengleichheit und bei der Architektenkammer Brandenburg die AG Gleichstellung – deren Vorsitzende Katja Melan ist ja gleich mit auf dem Podium.

Auch die Bauindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Zum diesjährigen 8. März hat sie ein "Frauen-Netzwerk Bau" ins Leben gerufen, für das ich die "Schirm-Herrschaft" übernommen habe – das heißt tatsächlich so. Mentoring-Strukturen sollen Frauen den Einstieg in die Bauwirtschaft und dort den Aufstieg erleichtern.

Natürlich hat sich die Bauindustrie nicht über Nacht zur Speerspitze des Feminismus gewandelt. Sondern dahinter steckt massiver wirtschaftlicher Druck. Und gerade das macht mich optimistisch, dass es nicht bei Willenserklärungen bleibt.

Sicherlich braucht es beim Thema Frauen & Bauen auch einen Kulturwandel. Das fängt bei den Frauen-Bildern an, die wir vermitteln: Fahren im Kinderbuch auch Frauen einen Bagger oder sind als Bauleiterin erkennbar? Das klingt vielleicht albern, aber Bücher – auch Kinderbücher – transportieren Weltbilder. Warum sollten sie nicht auch schon mal die Zukunft, wie wir sie uns wünschen, vorwegnehmen?

Der Kulturwandel muss auf dem Bau weitergehen. Wir alle haben die gängigen Bauarbeiter-Klischees im Kopf – die nicht immer, aber leider manchmal doch stimmen. Erwiesen ist jedenfalls, dass die Anwesenheit von Frauen einen positiven Einfluss auf den Kommunikationsstil hat. Noch ein Argument für mehr Frauen auf dem Bau.

Dazu gehört auch: mit Mythen aufräumen. Es braucht für Frauen keine eigenen Umkleideräume, nur getrennte Benutzungszeiten. (Das scheint nämlich ein häufiges Argument gegen Frauen auf dem Bau zu sein: "Wir haben keine Extra-Umkleiden.")

Auch der Einwand, dass Frauen körperlich nicht mithalten könnten, ist nur bedingt wasserfest. Erstens sind auch nicht alle Männer Sportskanonen und Gewichtheber. Und zweitens beweisen Frauen in den körperlich sehr harten Pflegeberufen Tag für Tag, wie stark sie sind.

Mit der fortschreitenden Technisierung und Digitalisierung wird es in Zukunft auch auf dem Bau immer mehr um kluge Lösungen und Fachwissen gehen. Und da stehen Frauen Männern ganz sicher in nichts nach.

Für den Kulturwandel braucht es auch eine andere Erzählung über Frauen und es braucht weibliche Vorbilder: Zwei oder drei berühmte Architekten fallen wahrscheinlich den meisten ein: Walter Gropius, Norman Foster oder hier in Potsdam Karl Friedrich Schinkel. Aber drei berühmte Architektinnen?

Zahah Hadid kennt man vielleicht noch. Vielleicht auch noch Margarete Schütte-Lihotzky mit ihrer "Frankfurter Küche". Aber sonst? Frau Melan – Sie haben da sicher ein paar Tipps, welche Namen man sich merken sollte.  

Der Kulturwandel kommt nicht von allein. Er braucht zivilgesellschaftliches Engagement. Also das, was der Frauenpolitischen Rat Brandenburg seit 30 Jahren mit bewundernswerter Ausdauer leistet. Herzlichen Dank an dieser Stelle für diese wichtige Arbeit!

Es braucht natürlich auch passende politische Rahmenbedingungen. Und Politikerinnen und Politiker, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.

Die Politik – darin schließe ich mich ausdrücklich ein – kann Gender-Aspekte in allen Politikfeldern fördern. Im Bundesbauministerium tun wir das auch, z. B. bei der Städtebauförderung.

Das Leitdokument unserer nationalen Stadtentwicklungspolitik, die "Neue Leipzig-Charta" hat ja ein klares Ziel: die gerechte Stadt – wozu auch Geschlechtergerechtigkeit gehört. Menschen jedes Geschlechts sollen gleiche Chancen haben.

Wir können auch Leuchtturmprojekte für frauengerechte, inklusive Stadtgestaltung fördern. Da gibt es gute Vorbilder, etwa die gemeinnützige "Frauen-Werk-Stadt" in Wien.

Wir können Gender-Budgeting stärker verankern – so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das kann ein starker Hebel sein.

Das sind alles wichtige Teilschritte. Aber ich glaube, wir müssen das Thema Geschlechtergerechtigkeit noch umfassender und an der Wurzel anpacken.

Und das bedeutet v. a. den Gender Pay Gap und die berüchtigte "gläsernen Decke" anzugehen. Davon sind Frauen überall im Berufsleben betroffen. Natürlich auch in der Baubranche, in Architektur und Immobilienwirtschaft.

18 % weniger als Männer verdienen Frauen in der Baubranche. Architektinnen verdienen sogar ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, weil sie immer noch einen Großteil der "Care-Arbeit" übernehmen.

Bei den Architekten z. B. arbeiten nur 10 % der Männer in Teilzeit, aber 40 % der Architektinnen. Sicher nicht, weil der Job so gut bezahlt ist, dass man mit Teilzeit prima über die Runden kommt. Sondern weil Frauen sich vorrangig um den Haushalt und die Kinder kümmern und manchmal auch noch die Großeltern pflegen.

Sie leisten unbezahlte Care-Arbeit, verdienen deshalb weniger und haben auch noch geringere Aufstiegschancen. Was dann dazu führt, dass sie weniger verdienen, weniger Mitsprache und Entscheidungsgewalt haben – also auch weniger Einfluss auf Städtebau und Architektur.

In den Studiengängen der Immobilienwirtschaft haben wir 42 % Studentinnen. Aber von denen kommen nur 11 % in den Führungsetagen der Immobilienwirtschaft an. Mehr als die Hälfte der Absolventen im Fachbereich Architektur sind Frauen (58 %). Aber nur 3 % der Vorstandsmitglieder in Architekturbüros sind weiblich.

Beim "Gender Pay Gap" und bei der "gläsernen Decke" müssen wir ansetzen. Wenn es nicht anders geht, auch mit Quoten. Die haben wir bisher nur für eine sehr überschaubare Anzahl von großen Unternehmen. Aber dort sehen wir: Die Quote wirkt. Seit wir das "Führungspositionen-Gesetz" haben, ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der betroffenen Unternehmen immerhin auf 35,6 % gestiegen.

Und das nützt am Ende nicht nur den Frauen, sondern auch den Unternehmen. Studien von McKinsey und Boston Consulting zeigen: Wo mehr Frauen entscheiden, sind die Gewinne höher und die Aktienkurse besser. Frauengeführte Unternehmen schneiden auch bei der Bonität und Zahlungsfähigkeit besser ab und haben ein geringeres Insolvenzrisiko. Dafür braucht es allerdings eine kritische Masse von mindestens 30 Prozent Frauen an der Spitze. Anders gesagt: Unternehmen ohne Frauenquote schaden sich selbst.

Der öffentliche Dienst muss hier vorangehen. Einmal bei den Führungspositionen. Da hat der Bund mit dem Führungspositionen-Gesetz ein klares Ziel gesetzt: Bis Ende 2025 sollen Frauen gleichberechtigt an Führungspositionen teilhaben. Auch unterhalb der Leitungsebene ist noch einiges zu tun. Derzeit sind unter den beamteten Architekten und Stadtplanern 75 % Männer und nur 25 % Frauen.

Mein Fazit erst einmal an dieser Stelle: Frauen & Bauen – das reimt sich nicht nur, das passt eigentlich ganz prima zusammen. Und über dieses "eigentlich" müssen wir reden. Dazu haben wir ja jetzt gleich noch Gelegenheit.

Vielen Dank!