Rede der Bundesministerin Klara Geywitz an der BTU Cottbus am 10. Januar 2023
Rede 10.01.2023
Gastvorleseung zum Thema "Zukunft der Städte - Zukunft des Bauens"
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Ort
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin Klara Geywitz
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Studentinnen und Studenten,
als ich studiert habe, galt es als besonders wichtig, dass Deutschland Weltmarktführer in der Automobilindustrie ist, in unserer Gesellschaft drehte sich vieles ums Auto und für viele Hochschulabsolventen war Daimler, BMW oder Audi der Wunscharbeitgeber Nr. 1.
Heute ist das Wichtigste der Kampf gegen den Klimawandel und der wird auch und gerade dort entschieden, wo die meisten Menschen leben: in den Städten. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit steigt die Stadtbevölkerung stark an. Bereits jetzt umfasst sie mehr als die Hälfte der Menschheit; schon bald werden es zwei Drittel sein. Deshalb brauchen wir frische Ideen, wie wir unsere Städte gestalten, wie wir für die vielen Menschen dort genügend Wohnraum schaffen und wie wir dies auf eine möglichst klimagerechte Weise tun können.
Wenn es also irgendein Berufsfeld gibt, dass für unser aller Zukunft immer wichtiger wird, dann ist es Stadtplanung, Architektur und Bauingenieurwesen.
Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie diesen Weg eingeschlagen haben. Und ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Impulse und Ihre Fragen.
Kurz bevor ich heute hierhergekommen bin, war ich beim Bürgermeister von Cottbus und habe ihm einen Förderbescheid aus unserem Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ übergeben. Denn Cottbus steht seit Jahren vor einer ähnlichen Herausforderung wie viele andere Kommunen in Deutschland:
Die Innenstädte waren zu sehr auf den stationären Handel ausgerichtet und wirkten abends wie ausgestorben – abgesehen davon, dass immer mehr Menschen im Internet einkaufen, wodurch immer mehr Geschäfte schließen müssen. All dies wurde durch die Pandemie und die aktuelle Krise weiter verschärft.
Aber hier liegt eben auch eine große Chance: Nicht beklagen, dass die Stadtzentren veröden, sondern sie ganz neu denken: weg von der reinen Shoppingzone hin zu multifunktionalen Orten mit Angeboten für Wohnen und Arbeiten, Begegnung und Kultur, Bildung und Betreuung, Gastronomie und auch Geschäften.
Hierfür braucht es neue stadtplanerische und architektonische Konzepte. Ende letzten Jahres hatte ich die Bürgermeister der vielen Städte eingeladen, in denen die Galeria Kaufhof Karstadt Filialen aktuell von Schließung bedroht sind. Gemeinsam mit der Immobilienwirtschaft, dem Handel und weiteren Experten wollten wir uns proaktiv über neue Nutzungsansätze für die großen alten Kaufhäuser austauschen. Dabei gibt es schon gute Beispiele, wie im nordrhein-westfälischen Herne. Die haben ein ehemaliges Warenhaus aus der Nachkriegszeit in eine moderne Mixed-Use-Immobilie umgewandelt – mit positiven Effekten auf das ganze räumliche Umfeld.
Ähnliches gilt auch für manche innerstädtischen Bürogebäude, wenn Unternehmen nun ihre Büroflächen einsparen wollen, weil viele ihre Mitarbeiter auch in Zukunft einen großen Teil der Woche im Home-Office arbeiten werden. Auf dem Popup-Campus in Aachen konnte ich mir letzten Sommer die Ideen von Studentinnen und Studenten aus ganz Deutschland ansehen, wie solche Bürogebäude zu Wohnhäusern umgewandelt werden können – was wiederum auch zur Belebung der Zentren beitragen kann.
All dies bietet zugleich die Gelegenheit, immer gleich mitzudenken, wie wir unsere Städte insgesamt klimagerechter gestalten können:
Mit weniger versiegelten Böden, so dass sie im Sinne des Schwammstadtprinzips – insbesondere bei den wohl künftig leider häufiger auftretenden Starkregenereignissen wie im vorletzten Jahr – das Wasser besser aufnehmen können; und speichern für lange Trockenheitsperioden wie im letzten Sommer.
Dies wiederum schafft den Raum für mehr Frischluftschneisen, mehr Wasserflächen und vor allem mehr Bäume, die bei solcher Hitze Schatten spenden und für frischere Luft sorgen. Auch hierfür gibt es bereits gute Ansätze, wie zum Beispiel an der Branitzer Baumuniversität – nicht weit von hier – an der besonders klimaresistente Sorten gezüchtet werden, oder in Darmstadt, wo Bäume mit digitalen Sensoren ausgestattet werden sollen, damit sie ressourcenschonend gegossen werden können.
All dies gilt natürlich nicht nur für die Zentren, sondern für alle Stadtteile und Quartiere. Attraktive öffentliche Räume mit viel Grün, in denen man sich gerne aufhält, bieten zugleich Begegnungsorte für die unterschiedlichen Menschen in unserer Gesellschaft. Dies wiederum ist eine wichtige Grundlage für den sozialen Zusammenhalt.
Für den sozialen Zusammenhalt brauchen wir natürlich auch neue Antworten auf die große soziale Frage unserer Zeit: das Wohnen.
Laut einer aktuellen Umfrage, ist die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum eines der fünf Top-Themen, die die Politik angehen muss.
Sie kennen dieses Thema vermutlich auch aus eigener Hierfür haben wir eigens ein Programm für das Junge Wohnen gestartet.
Gleichzeitig verursacht jedoch der Gebäudebereich bereits heute in Summe etwa 40 % der Treibhausgasemissionen, ca. 50 % des Abfallaufkommens und etwa 90 % der Entnahmen mineralischer Rohstoffe in Deutschland.
Deshalb müssen die Häuser künftig möglichst klimaneutral sein. Sie müssen höchste Effizienzstandards erfüllen, exzellent gedämmt werden und Strom wie Wärme aus erneuerbaren Energien beziehen.
Wärmepumpen werden dabei gerade oft als die Ideallösung für das Heizen angesehen. Diese sind zwar sehr gut, aber sie brauchen eben auch erst einmal Strom. Die aktuelle Spitzenlast im Stromnetz liegt bei 80 Gigawatt, die Leistung von Gas und Öl für unsere Wärmeversorgung bei 330 Gigawatt. Zurzeit wäre unser Stromnetz also überfordert, würden alle Wohnzimmer in einem kalten Winter von Wärmepumpen beheizt werden. Daher ist es wichtig, dass wir offen sind gegenüber allen Technologien, die Strom und Wärme produzieren und speichern, um uns von fossilen Brennstoffen – und von Russland - unabhängig zu machen.
Wir dürfen jedoch nicht nur den Betrieb der Gebäude in den Blick nehmen, sondern den gesamten Lebenszyklus.
Das heißt auch, dass die Gebäude künftig viel ressourcenschonender errichtet werden müssen, z.B. aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Leichtbaukonstruktionen, modernem Lehmbau oder „grünem Beton“.
Bei einer Konferenz des Bauhaus der Erde im letzten Sommer (Reconstructing the future) stellte der saudi-arabische Architekt Wael al Awar einen zementartigen Baustoff vor, den er mit Forschern zusammen aus Extrakten von Meersalz entwickelt hatte. Sein Ansatz: neue Materialien entwickeln aus den Rohstoffen, die lokal vorhanden sind und umweltverträglich gewonnen werden können.
Al Awar begründet das mit der Verantwortung von Architektinnen und Ingenieuren gegenüber der Gesellschaft. Damit ist er sicher nicht allein, sondern vielleicht sogar repräsentativ für die neue Generation. Aber der Wandel, den das für die Baubranche bedeutet, vollzieht sich langsam und wir stehen erst am Anfang.
Die Baubranche wird zukünftig viel mehr in Materialkreisläufen denken müssen, so dass das „Urban Mining“ erleichtert wird: Die Gebäude sollten als sortenreines und einfach rückbaubares Materiallager aufgebaut werden, mit wiederverwendbaren Bauteilen und recyclebaren Baustoffen.
Noch viel besser ist es natürlich, wenn die Häuser gar nicht erst abgerissen werden, sondern möglichst lange stehen bleiben.
Beispielsweise, indem man sie von vornherein mit flexiblen Grundrissen anlegt, so dass sie im Laufe ihres Lebens für verschiedene Zwecke genutzt werden können: So kann ein Gebäude, das zunächst als KiTa gebaut wurde, später leichter in ein Wohnhaus umgewandelt werden – oder umgekehrt.
Denn: Selbst wenn wir noch so klimaschonende Häuser erschaffen, entstehen allein durch die Herstellung der Bauprodukte und den Bau selbst große Mengen CO2 – die sog. grauen Emissionen.
Diese erreichen bei Neubauten mittlerweile einen Anteil von etwa 50 % an den gesamten Treibhausgasemission im Lebenszyklus.
Das bedeutet: Bei einem energieeffizienten Neubau braucht es mehr als 50 Jahre bis die Treibhausgasemissionen, die bei der Nutzung des Gebäudes entstehen, höher sind als die grauen Emissionen.
Und das obwohl einige Gebäude gar nicht länger als 50 Jahre stehen.
Unsere Zukunftsvision geht aber weiter: Gebäude werden nicht nur klimaneutral, sondern klimafreundlich. Sie produzieren mehr Energie als sie verbrauchen, und zwar saubere Energie. Sie tragen – z.B. durch begrünte Oberflächen – zur Erhaltung der Artenvielfalt bei, anstatt sie durch Flächenversiegelung zu gefährden. Das sind Ziele, von denen ich mir wünsche, dass sie sich angehende Architektinnen, Bauingenieure und Planer auf die Fahnen schreiben.
Dabei dürfen wir unseren Blick aber nicht nur auf den Neubau begrenzen. Denn der macht nur einen winzigen Anteil des Gebäudebestands aus. Wir werden einen zukünftigen Schwerpunkt auf den Umbau legen müssen.
Zumal ohnehin sehr viele der bereits bestehenden Häuser in Deutschland aus Klimaschutzgründen dringend modernisiert werden müssen: Bis 2030 muss mindestens die Hälfte des Gebäudebestands auf den energetischen Standard für heutige Neubauten gebracht werden.
Somit können wir also Wohnungsmangel und Klimawandel gleichzeitig bekämpfen.
Dabei sollten wir auch gleich ein großes, verdecktes Problem mit angehen, das wir vielerorts in Deutschland haben: einen zu hohen Pro-Kopf-Verbrauch von Wohnfläche.
Das heißt, derzeit leben oft wenige Menschen auf vielen Quadratmetern. Viele von ihnen ziehen auch deshalb nicht um, weil eine neue kleinere Wohnung teurer wäre - während Familien mit kleinen Kindern häufig händeringend nach einer größeren Wohnung suchen. Dies trägt nicht nur zur Klima- und zur Wohnungskrise bei, sondern es ist auch eine Architektur der Einsamkeit.
Hierfür brauchen wir kreative Lösungen. Es gibt z. B. Initiativen in einigen Uni-Städten, bei denen Studentinnen und Studenten ein kostenfreies Zimmer erhalten und dafür mit älteren Menschen spazieren gehen bzw. ihnen im Haushalt helfen, was zugleich eine Brücke zwischen den Generationen baut.
Wir brauchen aber auch neue planerische und architektonische Ansätze. Beispielsweise nicht mehr so viele neue Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese, wo perspektivisch ohnehin nur noch zwei Personen drin leben, wenn die Kinder ausgezogen sind. Davon gibt es jetzt schon sehr viele, während die Ortskerne veröden und ältere Häuser dort ganz leer stehen. Künftig sollten wir vielmehr zum Beispiel auch darüber nachdenken, inwieweit sich bestehende Ein- und Zweifamilienhäuser in kleinere Wohneinheiten teilen lassen – oder wie, nach dem Prinzip „Jung kauft Alt“, Familien bestehende Häuser im Ortszentrum übernehmen und sanieren und wir somit wegkommen von diesen ungesunden Donut-Dörfern, die außen einen fetten Rand haben und in der Mitte ein Loch.
Doch nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten brauchen wir hierfür neue Ansätze: Wie beispielsweise in Erfurt, wo eine alte Klinik in ein neues Wohnhaus umgebaut wurde – mit vielen kleinen Einheiten und im Erdgeschoss große Gemeinschaftsbereichen, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner zusammenkommen und sie vielfältig nutzen können. Heute wohnen dort Studentinnen und Studenten, aber künftig könnten dort ja auch ältere Menschen einziehen – idealerweise beides gleichzeitig.
Im Zuge dieses Projekts wurde viel mit vorgefertigten Elementen im sogenannten Baukastensystem gearbeitet. Künftig brauchen wir viel mehr von dieser Art des modularen bzw. seriellen Sanierens und Bauens.
Dies ist einmal etwas, dass man sich von der Autoindustrie abschauen kann: Dort wird auch nicht jedes Fahrzeug maßangefertigt, sondern Typen entwickelt und diese dann in Serie produziert. Dadurch kann sie sehr zügig, sehr viele Autos zu überschaubaren Stückpreisen herstellen. Und meistens sehen sie auch noch gut aus. Ein bisschen mehr von diesem Ansatz brauchen wir auch im Wohnungsbau – nur eben deutlich klimafreundlicher. Dadurch wird das Bauen effizienter und schneller.
Beim Thema serielles Bauen begegnet mir viel Skepsis. Die einen fürchten eine Renaissance des DDR-Plattenbaus. Die anderen warnen vor neuen sozialen Brennpunkten. Und viele Architekten stöhnen, dass die Baukultur auf dem Altar der Kostenoptimierung geopfert werden soll.
Aber das ist kurzsichtig. Wir sind heute in der Stadtplanung viel weiter als in den 50er Jahren, wo monotone Blocks an den Stadtrand gesetzt wurde.
Aus den Fehlplanungen der Vergangenheit haben wir gelernt. Wir müssen eine neue Kreativität für effiziente Bauweisen entwickeln.
Denn die gesamte Bauwirtschaft muss effizienter und schneller Dafür brauchen wir auch einen massiven Digitalisierungsschub – beispielsweise durch das Building Information Modeling oder die Einführung des digitalen Bauantrags, die wir nun bundesweit vorantreiben. Aber eben auch in der Produktion und im Gebäudebetrieb.
Zum Schluss: Im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft kamen im letzten Jahr erstmalig die Stadtentwicklungsministerinnen und Minister der Mitgliedsstaaten zusammen. Hierbei zeigte sich sehr schnell, wie wichtig es überall auf der Welt ist, Städte und Häuser resilienter zu gestalten – auch und gerade beim Wiederaufbau der Ukraine, für den wir unserem Amtskollegen aus Kiew unsere volle Unterstützung zugesichert haben. Ich hoffe, wir können dies bald einlösen.
Überall auf der Welt braucht es also innovative Lösungsansätze. Deshalb erhöht unser Ministerium gerade in diesem Jahr die Mittel für die Bauforschung – für die sich auch wissenschaftliche Institute bewerben können.
So, wie es auch die BTU Cottbus bereits mehrfach erfolgreich getan hat – beispielsweise mit einem Projekt des Lehrstuhls „Hybride Konstruktionen – Massivbau“ von Herrn Prof. Bleicher, zusammen mit der TU Berlin, Fachgebiet Regelungssysteme von Dr. Thomas Schauer, und der Fassadenfirma Gartner.
Dabei ging es um die „superschlanken“ Hochhäuser, die aufgrund der Verdichtung in vielen Metropolen weltweit immer mehr entstehen, die jedoch besonders schwingungsanfällig.
Hierfür wurde ein neuer Fassadendämpfer untersucht, der die Masse der Außenhaut in einer Doppelfassade als Dämpfungsmasse nutzt - ohne zusätzliche Tilgungsmassen. Das bisher ungenutzte Potential der Windeinwirkung an großen Fassadenflächen von Hochhäusern kann in diesem Konzept in Energie umgewandelt werden.
Diese Idee wurde in einen 1:1 Prototyp einer beweglichen Doppelfassade umgesetzt und erfolgreich unter realen Bedingungen getestet.
Das Ergebnis ist - einfach und kurz formuliert: ein neuartiges Doppelfassaden-element für schwingungsanfällige Hochhäuser, das Schwingungen dämpfen und zugleich Energie aus Wind gewinnen kann.
Genau diese Art von Innovationen aus der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis brauchen wir immer mehr.
Deshalb startet der nächste Förderaufruf für die Forschungsförderung voraussichtlich bereits im nächsten Monat.
Und deshalb kann ich Sie nur ausdrücklich ermuntern: Studieren Sie beherzt und ohne Denkverbote. Jetzt ist der Moment für eine große Transformation der Städte, des Bauens und des Wohnens. Hierfür brauchen wir Sie – mit ihrem KnowHow, ihrer Kreativität und ihrem Enthusiasmus.
Herzlichen Dank.